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Farben sehen bedeutet, Farben neu zu denken und damit die Bedeutung von Farben im Verhältnis zur Form anders als bisher zu bewerten. Dies setzt einen Erkenntnisprozess voraus, der historische Kunstwerke nicht mit dem Maßstab unserer heutigen Erfahrung und ästhetischen Bewertung beurteilt, sondern sie im Kontext des damals vorherrschenden Zeitgeistes sieht. Was im Grunde recht einfach erscheint, erfordert jedoch eine mentale Umprogrammierung, die unsere vorgefassten und anerzogenen Werturteile über Kunst infrage stellt. Komplex wird die Sache vor allem dann, wenn unsere ästhetische Urteilskraft an ein politisches Wertesystem gekoppelt wird und wir dabei davon ausgehen, dass beides beispielsweise mit dem der Antike identisch sein sollte. Hierdurch können sich Dogmen etablieren, die nur schwer zu überwinden sind, weil der Rezipient die Funktion und damit auch das ästhetische Bedürfnis wie selbstverständlich in dieser Version voraussetzt.  Dieses Problem wird am Beispiel der farbig gefassten Skulpturen besonders deutlich, da die meisten Betrachtenden eine vorgefasste Meinung darüber haben, wie eine antike Skulptur auszusehen hat, um sie entsprechend kategorisieren zu können. Jene konkrete Vorstellung kann unterschiedlichen Quellen entspringen, etwa dem Schulunterricht, der Popkultur, aber auch der Präsentation in Museen. Diese kollektive Idee manifestiert sich dabei häufig in der Darstellung einer figurativen, übermenschlichen Figur, die zumeist beschädigt, aber vor allem weiß ist. Diese Sichtweise hat jedoch enorme Auswirkungen auf die Lesbarkeit antiker Skulpturen, zumal, selbst wenn feststeht, dass die Plastiken damals bemalt waren, nur wenige sich darüber bewusst sind, dass Farben für die damaligen Betrachtenden wichtige Anhaltspunkte zur genauen Identifizierung der abgebildeten Figuren lieferten. Der Verlust von Farben kann somit einen Identitätsverlust bedeuten.

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Polychrome Skulptur

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Aktuelle Forschung
 

Hypothetische Farbrekonstruktionen


Bewusstsein - Zeitgeist - Ästhetik

Während die Publikation "Die Suche nach einem angemessenen Bild der Geschichte. Re-Inszenierung und Rekonstruktion der Antike in Schrift, Form und Farbe von J.J. Winckelmann bis heute" (2022) der Frage nachging, worauf das Dogma der "weißen" Antike zurückzuführen ist und welche Ansätze es bereits bis dato gab, um diesem Vorurteil entgegenzuwirken, untersucht Katharina Mann in ihrer aktuellen Forschung, wie das Bewusstsein der Rezipienten hinsichtlich einer polychromen Antike nachhaltig geprägt werden kann.

Zu diesem Zweck soll die Pop-up-Ausstellungsreihe "Farben sehen!" durch das Storytelling mittels verschiedener Argumentationsansätze neue Einsichten vermitteln, welche Informationen dem Rezipienten die Erkenntnis näher bringen, dass Farben in der Antike einen politischen wie kulturellen Mehrwert hatten.

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Die Auswertung der Ausstellung und der Umfrage ist nun zum Download bereit. Herzlichen Dank für Ihre Teilnahme!

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"Im Hinblick auf die Frage, wie das Thema Farben in der Antike in ständigen Sammlungen bestmöglich präsentiert werden kann, ohne allzu vom Original abzulenken und nachhaltig zu vermitteln, scheinen mir nach der Evaluation der Ausstellung „Farben sehen!“ vor allem illustrierte Exhibition Labels in verschiedenen Größen noch ein großes ungenutztes Potenzial zu haben [...]."

YouTube-Podcast

Die YouTube-Podcasts über polychrome Skulpturen bieten weitere Informationen zu den Themen Big History, Vorbilder, Zeitgeist oder das Erbe der Antike. Klicken Sie auf das dazugehörige Bild und Sie werden direkt zum jeweiligen Podcast weitergeleitet.

Venus von Willendorf

Big History

Der erste Teil der Podcast-Reihe verweist auf die jahrtausendealte Geschichte der farbig gefassten Skulpturen noch vor der griechischen und römischen Bildhauerei und blickt auch über den europäischen Kontinent hinaus, um aufzuzeigen, dass die Menschheit eine viel längere und globale Tradition der bemalten Skulptur aufweist.

Tut

Vorbilder

Im zweiten Teil werden die identitätsstiftenden Vorbilder der alten Griechen thematisiert. Insbesondere die Ägypter waren Impulsgeber für eine veränderte Bildsprache der bemalten Skulpturen in der archaischen Zeit, die durch ihre neuartigen Formen und Größe sowie Farbintensität den neu erworbenen Reichtum und Macht der Griechen hervorhoben.

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Zeitgeist

Der dritte Teil beleuchtet die ästhetische Entwicklung eines Zeitgeistes. Im Mittelpunkt steht die Zusammenarbeit zwischen dem Bildhauer Praxiteles und dem Maler Nikias aus der Übergangszeit von der Klassik zum Hellenismus. Wie konnte eine naturnachahmende Bemalung der Aphrodite von Knidos aussehen?

Hl. Elisabeth

Erbe der Antike

Der vierte Teil der Reihe befasst sich mit dem Erbe der Antike im Hinblick auf die Tradition der bemalten Skulpturen, die vor allem im katholisch-kirchlichen Kontext gepflegt wurde. Mit dem Rückbezug auf die vorgefundenen Rudimente wurde jedoch zunehmend fälschlicherweise das Dogma der weißen Antike etabliert. Ein allmählicher Bewusstseinswandel vollzog sich erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Zuge der detaillierten Erforschung der antiken Relikte.

Dr. Katharina Ute Mann

"Um eine nachhaltige Veränderung zu evozieren, ist es [...] notwendig, die Kunst der Antike – insbesondere die der alten Griechen – nicht mehr durch das Prisma unseres zeitgenössischen Schönheitsempfindens zu betrachten, sondern vielmehr ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Griechen keine 'weiße' Kunst kannten, geschweige denn diese als schön beziehungsweise als vollkommen angesehen hätten."

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K. Mann, Die Suche nach einem angemessenen Bild der Geschichte. Re-Inszenierung der Antike in Schrift, Form und Farbe von J.J. Winckelmann bis heute, Berlin 2022, S. 195
 

Katharina Ute Mann
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